Frauen in der IT, Frauen in MINT: Auch Jahrzehnte nach Ada Lovelace, Hedy Lamarr und Grace Hopper ein schwieriges Feld. Und das, obwohl Betriebe weiterhin händeringend IT-Fachkräfte suchen. Allein in Österreich schätzen Experten den IT-Fachkräftemangel in diesem Jahr auf durchschnittlich 24.000 Personen, was einen Wertschöpfungsverlust in Milliardenhöhe verursacht.
Es ist Zeit für Unternehmen, umzudenken und ihr Augenmerk vor allem auf diese Kandidatengruppe zu richten. Noch vernachlässigen Betriebe Frauen, obwohl sie alle Voraussetzungen mitbringen, die es in der IT braucht.
Schon Mädchen verlieren das Interesse
Denn: Bis sie zehn Jahre alt sind, haben Mädchen durchaus gleich großes Interesse an Technik, Informatik und Computern. Allerdings verlieren sie zwischen dem 11. und dem 15. Lebensjahr das Interesse an MINT-Fächern, zeigt eine UNESCO-Studie. Das Problem:
- fehlende weibliche Vorbilder
- wenig bis keine praktische Erfahrung mit Informatik und
- eine negative Vorstellung der täglichen Realität einer Frau in der Wissenschaft
Zudem zeigt eine Studie der FH Oberösterreich, dass Schülerinnen vor allem zu klischeeorientierten Berufen geraten wird, wie der ORF berichtet: 85 Prozent der im Rahmen einer Studie der FH Oberösterreich befragten Mädchen geben an, ihnen sei ein „frauentypischer“ Weg nahegelegt worden, so Studienautorin Martina Gaisch.
Nur ein Drittel Frauen in MINT-Studienfächern
Einerseits seien es die Eltern, die ihre Töchter oft in „kommunikativen Berufen“ sehen und ihre kommunikativen Fähigkeiten stärken wollen. Anderseits „sind es die Lehrer*innen, die die jungen oft Frauen darin bestärken, doch etwas Soziales zu machen“, so Gaisch. Auch Selbstzweifel würden junge Frauen oft davon abhalten, sich für ein Informatik-Studium zu entscheiden. Ebenso ist es die Hemmschwelle, „Untypisches“ zu tun.
Entsprechend war 2019 nur ein Drittel aller Absolventinnen von MINT-Studienfächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) weiblich – knapp derselbe Wert wie 2013. Am häufigsten findet man Studentinnen in den Biowissenschaften, gefolgt von Architektur und Bauwesen und mathematischen sowie statistischen Studiengängen. In der Informatik sind lediglich 17 Prozent aller Studierenden Frauen – ein magerer Wert.
Die „männliche“ Technik
„Die ‚männliche‘ Technik ist definitiv ein mitteleuropäisches und wahrscheinlich auch ein US-amerikanisches Thema, bestätigt Brigitte Ratzer, technische Chemikerin und Leiterin der Abteilung Genderkompetenz an der Technischen Universität Wien. „Es hängt mit unserer Kultur zusammen, in der uns das Bild vermittelt wird, dass Techniker immer Männer sind.“
Aber auch die Technik selbst sei in der Pflicht, sagt Ratzer in Gespräch mit dem Magazin an.schläge: „Dieses Nichtinteresse an Technik bei Mädchen und Frauen, wie es sich jetzt darstellt, bedeutet ja auch: Das will ich so nicht. Schließlich handelt es sich um ein von Männern für Männer veranstaltetes Unternehmen, angefangen von der Art und Weise, wie wir uns mit Technik auseinandersetzen bis hin zu den Produkten, die wir erzeugen – das alles hat einen entsprechenden Bias.“
Arbeitgeber zu wenig flexibel
Ein weiteres Problem: In MINT-Berufen gibt es (noch) selten die Möglichkeit zu flexiblen Arbeitszeiten oder Teilzeit – ein Benefit, auf den gerade Absolventinnen großen Wert legen, zeigt eine Studie des Jobportals StepStone gemeinsam mit dem Employer Branding-Spezialisten Universum, für den 130.000 MINT-Studierende in 14 Ländern befragt wurden.
So wünschen sich Frauen in der IT-Branche vor allem ein einen sicheren Arbeitsplatz und eine ausgewogene Work Life-Balance. Männern hingegen ist ein innovatives Umfeld, gute Einkommenschancen und die Arbeit mit neuen Technologien wichtig. Allein: Nur ein Drittel aller Inserate im IT-Bereich bieten auch flexible Arbeitszeiten an, zeigt eine Index-Auswertung im Auftrag von StepStone.
Auch Gendergerechtigkeit ist für weibliche Jobsuchende ein kritischer Faktor: Jede dritte Frau fordert die Gleichstellung aktiv ein, umgekehrt legt nur jeder zehnte Mann Wert darauf. Dabei geht es Frauen aber nicht um halbherzige Alibi-Maßnahmen, sondern um langfristige Unterstützung.
IT-Branche: Frauen weiterhin benachteiligt
Wer IT-Spezialistinnen an Bord holen will, muss daher umdenken – und das geistige Mindset, das noch immer vom männlichen IT-Nerd ausgeht, justieren. Vor allem männlich dominierte Betriebskulturen, starke Gehaltsunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Angestellten und Vorurteile, aufgrund derer IT-Expertinnen von vornherein weniger zugetraut wird, hindern Frauen nach wie vor daran, einen Job in der IT-Branche zu ergreifen.
Auch Diskriminierung und sexuelle Belästigung spielt eine Rolle, zeigt eine Umfrage des deutschen Marktforschungsinstituts Innofact: So werden Frauen in Startups deutlich häufiger sexuell belästigt als in herkömmlichen Unternehmen. Dazu gehören unter anderem anzügliche Witze und Kommentare, unangemessene Blicke und unerwünschte Berührungen. Auch sexuell eindeutige Mails und Nachrichten werden an Kolleginnen geschickt, die in technischen Berufen arbeiten.
Diskriminierung kostet viel Geld
Das kostet Unternehmen ziemlich viel Geld: Eine aktuelle Studie zeigt, dass Frauen doppelt so oft die Branche verlassen als Männer. Und damit wertvolles Wissen, Engagement und Know-How verloren geht. Um gegenzusteuern, müssen Arbeitgeber und Recruiter ganz unten ansetzen – und ihre Recruiting- und Einstellungsprozesse von Grund auf erneuern.
Telle Whitney, die Gründerin der weltweit größten IT-Konferenz für Frauen, rät Unternehmen in einem Interview mit dem Forbes-Magazin zu sechs Schritten, um IT-Spezialistinnen entgegenzukommen:
- Eine Unternehmenskultur, in der Frauen sich willkommen fühlen
- Klare Karrierepfade und Möglichkeiten, sich intern weiterzuentwickeln
- Transparente und klar nachvollziehbare Kriterien für Beförderungen
- Inklusive Bewerbungsprozesse von der Job Description über die Stellenanzeige bis hin zum Einstellungsgespräch
- Offenheit für Kandidatinnen, die nicht der üblichen Vorstellung entsprechen
- Nicht nur für Frauen: Rücksicht auf Betreuungspflichten und Privatleben außerhalb des Jobs
Unbewusste Vorurteile steuern die Auswahl
Es zahlt sich auch aus, die eigenen (Vor-)Urteile in Bezug auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu überprüfen: In vielen Köpfen geistert der „Unconscious Bias“ herum, unbewusste Vorurteile und Stereotypen. Das beginnt schon bei der Formulierung der Stellenanzeigen: Männlich konnotierte Sprachcodes wie „durchsetzungsfähig, analytisch, selbstbewusst“ werden gerade in technischen Berufsfeldern bevorzugt eingesetzt und schrecken Bewerberinnen von vornherein ab.
Studien zeigen, dass Frauen Jobausschreibungen weniger attraktiv finden, wenn diese oder ähnliche Worte aufscheinen – und sie zudem davon ausgehen, dass in diesen Unternehmen mehr Männer als Frauen arbeiten. Das Resultat: Weniger Frauen bewerben sich, und Arbeitgeber nehmen an, dass es einfach nicht genug Frauen im technischen Bereich gibt.
Fazit: Mit Unterstützung zum Erfolg
Die Erfahrung zeigt: Den gesamten Recruiting-Prozess so aufzusetzen, dass er möglichst inklusiv ist und auch Frauen in der Branche anspricht, verlangt Fingerspitzengefühl. So ist nicht nur die sorgfältig formulierte Stellenausschreibung Voraussetzung für eine optimale Personalauswahl, sondern die gesamte Candidate Journey.
Um diese an Erfordernisse an moderne Frauen (und Männer!) anzupassen, empfiehlt sich fachkundige Beratung und der Blick von außen. Schließlich geht es um nichts weniger als um den zukünftigen Unternehmenserfolg – und den Beitrag, den weibliche Mitarbeiterinnen dazu leisten können.